Die Riesenrippe
Zwei Erzählungen aus dem Buch „Spessart-Sagen“ von Valentin Pfeiffer berichten schon aus frühen Zeiten von der Geschichte des Mainufers unterhalb des Schlosses Johannisburg. Dem damaligen Schlossherrn der Vorgänger-Burg gefiel der Verlauf des Maines zu dieser Zeit nicht sonderlich gut. Das Maintal vor dem Schloss war noch ganz mit Sümpfen bedeckt und der Fluss bei Aschaffenburg war in mehrere Arme geteilt. Ein Arm floss z. B. da vorbei, wo sich heute die Stadt befindet, und ein anderer zweigte oberhalb Nilkheims ab, um sich unterhalb Leiders wieder mit dem ersten zu vereinigen. Keiner der Flussteile jedoch führte genug Wasser, um schiffbar zu sein. Und zudem war der Schlossherr der Meinung, dass der Main in einem schönen Bogen unmittelbar vor dem Schloss ein viel schöneres Bild abgeben würde.
Da traf es sich gut, dass in diesen frühen Zeiten auch Riesen im Bereich des Sternbergs und des Erbigs – zwei Erhebungen oberhalb des heutigen Stadtteiles Schweinheim – gelebt haben sollen. Mit einer List gelang es, die Riesen zur Mithilfe bei dem gigantischen Projekt der Verlegung des Mainverlaufes zu verführen: Ein riesiger Pflug wurde geschmiedet, so groß, dass ihn auch mehrere Pferde nicht von der Stelle bewegen konnten.
Nun wurde ein Ziegenböcklein provokant vor den Pflug gespannt. Das fanden die Riesen derartig lächerlich, dass sich einer selbt vor den Pflug spannte und die Arbeit aufnahm. Noch ehe der nächste Morgen dämmerte, rauschten die Maineswogen am Fuße des Burg dahin.
„Hört“, schrie dann der Riese zum Schloss empor, „jetzt werde ich ausruhen, und dann geht’s an euer Schlösslein. Meine Fäuste sollen es packen und niederreißen. Und ihr Menschlein da drinnen seid alle des Todes.“ Der Riese schwur, die Burg mit allem, was darin wäre, zu vernichten und zog sich nach der Drohung in seine Höhle zum Ausruhen zurück.
Als man am nächsten Tage dem Riesen mit Waffengewalt zu leibe rücken wollte fand man ihn auf wundersame Weise tot in seiner Höhle vor. Er war im Schlafe von wilden Tieren angefallen und zerrissen worden. Eine Rippe von ihm aber nahm man mit heim und bewahrte sie zum Gedenken auf.
Auch nach der Errichtung des neuen Schlosses unter Kurfürst Schweikard blieb die alte Riesenrippe erhalten und soll noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts am hohen Wehrturm gehangen haben, bis sie vermorscht und vom Zahne der Zeit zerfressen von selbst herunterfiel.
Quelle: Spessart-Sagen, Valentin Pfeifer, Aschaffenburg 1948, S. 7 – 8.