Kunst am Fluss
Bereits seit 2011 ist die Haltestelle BOB Bestandteil des Aschaffenburger Schlossufers. Oft als „kleinste Galerie der Welt“ bezeichnet, ist sie ein Ort der Kunst-Begegnung ohne Schwellenangst, museale Andacht oder Verkaufsargumente. Sie ist Kunstwerk und Ausstellungsfläche in einem, eine ortsspezifische Rauminstallation, die behutsam in ihre Umgebung eingefügt wurde und wiederum von dieser geprägt wird. Die in den Fahrplanrahmen gezeigten Werke werden in dieses Konzept eingebunden, Betrachter*innen selbst schließlich vervollständigen die Erfahrung des Gesamtkunstwerk. Dies ist kein steriler „white cube“, in dem der Kunstgenuss möglichst ohne störende äußere Einflüsse vor sich geht, sondern eine Erfahrung, die mit jedem Wetterwechsel ebenso wie mit den Fahrplanwechseln variiert, wo unerwartete Begegnungen möglich sind, wo sich zwischen Schloss und Main überraschende Bezüge auftun, die wie Reisesouveniers im Gedächtnis bleiben.
Dabei beginnt alles mit einem Irritationsmoment. Schon während wir auf die Haltestelle zugehen, schleichen sich Fragen ins Bewusstsein, Verunsicherung, Verwunderung, Neugierde. Eine Bushaltestelle? Hier? Der Blick wandert über die Mainwiese, den Spazier- und Radfahrweg, den Fluss, das Schloss. Was stimmt hier nicht? Wir kommen näher, erkennen drei Pfosten mit vielen Fahrplanhaltern, vielleicht sogar schon farbige Motive darin, jetzt möchten wir es genau wissen. Die Installation lässt sich umrunden, Bank und Haltestellenschilder entpuppen sich als Originale, doch sie sind ihres ursprünglichen Sinns beraubt, hier wird kein Bus fahren. Was geschieht an diesem Ort? Wohin geht diese Reise?
Wo Kunst im öffentlichen Raum existiert, entsteht ein neuer Kontext, Aufmerksamkeit wird gelenkt und Wahrnehmung verändert – doch der Zufall entscheidet, wer des Wegs kommt, ob die Betrachter*innen dem Werk mit Begeisterung, Erstaunen oder Verärgerung begegnet. Handelt es sich um eine dekorative Skulptur, die sich gefällig in ihr Umfeld einfügt? War das Ziel des Künstlers, einen tristen Platz zu beleben? Oder wurde ein Mahn- oder Denkmal geschaffen? Sobald wir meinen, dies zuordnen zu können, fügt sich die Kunst oft schnell in den Hintergrund, in die Architektur, in das Umfeld ein, wir gehen täglich daran vorbei, ohne auch nur einmal genau hinzuschauen. Ist der Kontext jedoch nicht so eindeutig, entsagt sich das Werk einer eindeutigen Kategorie, entsteht eine Störung, ein Irritationsmoment, der unglaublich wertvoll ist. Denn was sich daraus entwickelt, ist unvorhersehbar.
Die Haltestelle ist ein Projekt des Aschaffenburger Künstlers Bob Maier, der inzwischen rund 45 „Fahrplanwechsel“ kuratiert hat. Dabei gestallten Künstlerinnen in loser Folge die Fahrplantafeln mit Bildern, Collagen und Texten und überraschen die Besucherinnen des Schlossufers immer wieder aufs Neue.
Text: Anna Bechtloff